Wärme von Rechenzentren nutzen – 7. BMU-Fachtagung zur Abwärmenutzung
Ein großes Potenzial für den Klimaschutz ist die Abwärme von Serverfarmen. Bislang wird sie jedoch zu wenig genutzt und bekommt zu wenig Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Das wurde auf der 7. Fachtagung „Klimaschutz durch Abwärmenutzung“ am 4. November deutlich, die sich dieses Jahr vertieft dem Thema „Abwärme aus Rechenzentren“ widmete.
Das Bundesumweltministerium hatte in die „Serverhauptstadt“ Frankfurt a. M. geladen. Vor Ort und online verfolgten über 200 Teilnehmende die Tagung, was noch einmal eine deutliche Steigerung zum Vorjahr bedeutete.
Die Mainmetropole ist die Stadt mit den meisten Rechenzentren Kontinentaleuropas. Die Bedeutung der Nutzung ihrer Abwärme für die Klimawende unterstrich Berthold Goeke in seinem Eröffnungsvortrag. Der Leiter der Unterabteilung Klimaschutzpolitik im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit prognostizierte, dass die Zahl der Rechenzentren in diesem Jahrzehnt noch einmal um 70 Prozent zunehmen werde. Durch den steigenden CO2-Preis werde die Nutzung ihrer Abwärme zunehmend wirtschaftlicher.
Abwärme der Serverhauptstadt nutzen
Ralph Hintemann vom Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit führte als Moderator durch den ersten Tagungsblock. In seinem Impulsvortrag wies er darauf hin, dass Frankfurter Rechenzentren 2030 drei Terrawattstunden jährlich an Strombedarf haben werden. Um zumindest einen Teil der eingesetzten Energie in Form von Abwärme zu nutzen, müssten unter anderem Niedertemperaturnetze entstehen, um schnell, zügig und unbürokratisch kommunale Lösungen umzusetzen.
Paul Fay vom Frankfurter Energiereferat stellte daraufhin die kommunalen Klimaziele seiner Stadt vor: Mit ihrer Verschärfung will Frankfurt bis 2035 den Energiebedarf halbieren und vollständig regenerativ decken. Derzeit gibt es 64 Rechenzentren in Frankfurt a. M. und ihre Zahl wächst ständig. Allerdings sind diese in Clustern in und um die Stadt herum angesiedelt und deshalb oft zu weit entfernt von Wärmesenken. Hier fehle es noch an Netzinfrastruktur. Zudem habe Rechenzentrenabwärme aktuell noch zu niedrige Temperaturen für das Fernwärmenetz und muss in der Regel mit Hilfe von Wärmepumpen auf ein höheres Temperaturniveau gebracht werden.
Frankfurter Vorzeigeprojekte für Abwärmenutzung
Bereits am Vortag besuchten Teilnehmer*innen der Konferenz im Hochhaus Eurotheum ein innovatives Rechenzentrum von Cloud&Heat, das statt Luft Heißwasser für die Kühlung einsetzt. Jens Struckmeier, CEO vom Onlinespeicheranbieter, legte dar, wie sich durch die wassergekühlten Server bis zu 65 Grad warme Abwärme auskoppeln und im Gebäude zur Raumerwärmung nutzen lässt.
Mit dem Abwärmeprojekt im Frankfurter Quartier „Westville“ stellte Béla Waldhauser vom Serveranbieter Telehouse Deutschland das hierzulande bislang größte Vorhaben zur Nutzung von Serverabwärme in der städtischen Fernwärmeversorgung vor. Rund 3.000 Anwohner*innen werden bis spätestens 2025 von der Abwärmenutzung profitieren und so 400 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. „Die in 2030 erzeugte Rechenzentrumsabwärme reicht rein mengenmäßig aus, um den gesamten Wärmebedarf Frankfurts zu decken“, so Waldhauser.
Ingmar Kohl vertrat den regionalen Energiedienstleister Mainova und zeigte welche Rolle die Abwärme aus IT-Infrastruktur, aber auch aus industriellen Prozessen neben den Erneuerbaren Energien in der städtischen Wärmeversorgung bis 2045 spielen könnte. Arno Schlicksupp vom Anlagenbauer AS Enterprise Engineering gab diesbezüglich zu bedenken, dass zunächst Insellösungen etabliert werden müssten, um in einem zweiten Schritt ein flächendeckendes Niedertemperaturnetz anzulegen. Am Beispiel des Wärmenetzes im Stadtteil Griesheim zeigte er die interessante Lösung auf, dass sommerliche Abwärme im Erdreich für die Wintermonate gespeichert werden könnte.
Das historisch bedeutende Neckermann-Areal im Frankfurter Osten beherbergt ab 2025 einen Rechenzentren-Campus von Interxion. Sven Krause vom Immobilienentwickler F+P Facility and Process plant, dass Wärmepumpen 60 Prozent der Heizenergie für den Campus selbst, aber auch für umliegendes Gewerbe aus Server-Abwärme bereitstellen werden.
Birger Ober vom Energieversorger Vattenfall bot zum Ende des Vormittags einen Blick nach Berlin, dessen mehr als 1.000 Kilometer langes Stadtwärmenetz sich von fossilen Brennstoffen abkehrt. Wichtige Säulen für eine zuverlässige Abwärmenutzung sind für ihn, dass Hochtemperaturwärmepumpen verfügbar sind, die Grundlast des Wärmenetzes getragen werden kann und langfristige Verträge die Lieferung sicherstellen.
Abwärmenutzung braucht Kollaborationen und Förderung
Unter dem Motto „Abwärme aktuell“ führte Tagungskoordinator Patrick Hoffmann vom Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme IZES durch die erste Hälfte des Nachmittags. Masanori Kobayashi von der New Energy and Industrial Technology Development Organization NEDO erweiterte den Tagungshorizont um eine japanische Sichtweise. Seine Strategien, um den Verlust von 60 Prozent der produzierten Energie in Form von Wärme einzudämmen: reduce, recyle, reuse. Als Vertreter des Energy Conversation Technology Department der NEDO in Kawasaki warb er auf der Tagung für internationale Kollaborationen.
Risikofonds, wie sie bereits bei niederländischen Geothermie-Projekten erfolgreich zum Einsatz kommen, sind für Hintemann wirkungsvoll, um Abwärmeprojekte abzusichern. Der Fond könnte sich aus Prämien speisen, die sich nach der jeweiligen Investitionssumme der beteiligten Akteur*innen richten. Das Plenum wägte nach dem Impulsvortrag auch Versicherungen und Bürgschaften ab, um Investitionsrisiken zu minimieren.
Oliver Tietjen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie stellte mögliche Förderungen aus EU-Mitteln für Abwärmeprojekte in Deutschland vor: Die Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft EEW unterstützt Abwärmenutzung mit bis zu 30 Prozent der Projektkosten, bei KMU sogar bis zu 40 Prozent – auch ein Rechenzentrum bekam schon Fördermittel. Die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze BEW bezuschusst in Kürze bis zu 40 Prozent neue oder modernisierte Wärmenetze, sofern diese einen hohen Anteil an erneuerbarer Energie oder Abwärme leiten.
Innovative Abwärmenutzung aus Deutschland
Welches Abwärmepotenzial in der Wasserelektrolyse steckt, rechnete Richard Hanke-Rauschenbach vor. Der Leiter des Instituts für Elektrische Energiesysteme in Hannover geht davon aus, dass 20 Prozent der eingesetzten Wärme nutzbar ist. Je nach Rahmenbedingungen in der Wasserstoffproduktion könnten in Deutschland 30 bis 150 Terrawattstunden an Abwärmeenergie genutzt werden – und mit dem Erlös den Preis für Wasserstoff immerhin um knapp vier Prozent senken.
Optimierte Wärmeüberträger stellte Tim Schneider vor: Das Forschungsvorhaben AdReku am Gas- und Wärme-Institut Essen arbeitet daran, die Vorwärmung von Verbrennungsluft durch Ofenabgase zu optimieren. In den 1960er-Jahren beschriebene, mittels 3-D-Druck nun aber herstellbare „triply periodic minimal surfaces“ eignen sich am besten für die Wärmetauscher. Wenn diese für die verschiedenen Temperaturgrade aus Keramik, Stahl und Kupfer hintereinandergeschaltet werden, gelingt es dem Forschungsprojekt, die Luftvorwärmungsgrade von 60 auf 90 Prozent zu steigern.
Netzwerke und Investitionshilfen helfen Abwärmeprojekte auf die Beine
Im dritten Tagungsblock präsentierte Mira Weber von der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz Projekte aus dem DENEFF-Netzwerk. Das Forschungsprojekt Bytes2Heat an der Universität Stuttgart führte eine Umfrage durch, um organisatorische Hemmnisse bei der Nutzung von Serverabwärme aufzudecken. Die von Weber vorgestellten Ergebnisse zeigten, dass nicht technische, sondern oft wirtschaftliche und regulatorische Hemmnisse Abwärmeprojekte scheitern lassen. Auch fehlende Kommunikation zwischen einzelnen Akteur*innen behindere mitunter die Umsetzung, weshalb DENEFF in Veranstaltungen Austausch ermöglicht.
Franziska Chelvier vom Anlagenbauer Engie Deutschland gab Einblicke in die Abwärmenutzung in verschiedenen Projekten der Lebensmittelindustrie: Auch wenn sich Wärmequelle und Wärmesenke nah zueinander befinden, bedarf es in der Regel einer Investitionsförderung für die Realisierung. „Ohne Sponsoring“ rechnet sich das Energiemanagement im Lebensmitteleinzelhandel zwischen Kühltheken und beheizten Verkaufsräumen, das Thorsten Becker vom Klimatechnikhersteller Daikin Airconditioning Germany vorstellte.
Im Abschlussbeitrag erläuterte Julian Lechner von Orcan Energy die Stromproduktion aus Abwärme mittels eines organischen Kältemittels, für die der Abwärmespezialist koffer- bis containergroße Komplettlösungen für besonders niedrige Abwärme-Temperaturen zwischen 80 und 150 Grad Celsius anbietet.
In der anschließenden Podiumsdiskussion waren sich alle Vortragenden des dritten Tagungsblocks einig: Es gibt ausgezeichnete Förderungen, um Abwärmeprojekte anzustoßen und voranzubringen. Verbesserungswünsche gebe es vor allem bei den juristischen und regulatorischen Rahmenbedingungen, die vereinzelte Effizienz-Technologien benachteiligten.
Organisator der Fachtagung war die Saarbrücker IZES gGmbH. Auf der Instituts-Website finden sich noch einmal der gesamte Programmüberblick mit den Vortragsfolien und Videomitschnitten der Beiträge. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Kampagne „Mein Klimaschutz" statt, welche die gemeinnützige Klimaschutzberatung co2online aus Berlin durchführt und vom Bundesumweltministerium gefördert wird. Die 8. BMU-Abwärmefachtagung ist für November 2022 geplant und wird in Hamburg stattfinden.
Autoren: Jochen Weiß (co2online) und Patrick Hoffmann (IZES)