Das Zukunftshaus im Gartenlauben-Pelz

18.12.2025 Lesedauer: min Minh Duc Nguyen

Das Gartenhaus von Stefan Golla liegt versteckt in der Kolonie

Was macht ein Mensch, der eine Vision in sich trägt, der die halbe Welt bereist hat und der eine Menge Fachwissen samt handwerklichem Geschick mitbringt? Richtig, er verwandelt ein 08/15-Gartenhäuschen in ein Objekt, das man auch Zukunftshaus nennen könnte. Das ist die Geschichte von Stefan Golla.

Stefan Golla im Portrait

Stefan findet

„Man kann auch ökologisch und günstig bauen!”

„Ein teurer Neubau ist etwas für Menschen, denen Geld egal ist und die sich um den Rest nicht kümmern möchten. Nachhaltiges Sanieren hingegen sorgt für Wertsteigerung, mehr Wohlbefinden und bezahlbaren Wohnraum.“

 

Lübben. 2025. Das Zukunftshaus ist 20 Quadratmeter groß, hat eine drei Quadratmeter große Miniküche, eine Trocken-Trenntoilette, eine raumlufttechnische Anlage, eine Luft-Luft-Wärmepumpe, eine flächendeckende Indach-PV-Anlage und eine Menge Pioniergeist. So kann man die Datsche von Stefan Golla und seiner Frau Anne beschreiben, die in einer unscheinbaren Gartensiedlung steht, eingerahmt zwischen der Bahnlinie Berlin-Cottbus, der Bundesstraße und einem für die Gegend typischen Kiefernforst. 

Vor seiner Verwandlung war es eines dieser typischen DDR-Gartenhäuschen, die damals zweckmäßig und hunderttausendfach errichtet wurden: rechteckig mit Außentoilette, vergittert und ökologisch bedenklich. Schließlich war das brüchige Wellasbestdach mit Mineralwollematten vom Marder verwüstet und bis in den Wohnraum „versifft“. Also beschlossen seine Frau und er als neue Pächter, das Objekt samt dem trostlosen „Garten“ zu einem Vorzeigeort des möglichen Wandels zu machen. Die Vision: bezahlbares, nachhaltiges, gesundes, und energieautarkes Wohnen im Eigenbau.

Selbst anpacken und zeigen, dass es auch anders laufen kann

Der Schöpfer des Zukunftshauses im Gartenlauben-Pelz heißt Stefan Golla, ist Mitte 40, drahtiger Typ, hat ein dezentes Auftreten und eine angenehm ruhige Stimme, die er gerne einsetzt. Schließlich hat Golla viel zu erzählen. Als Physiker, Entwicklungsspezialist und Projektkoordinator ist er schon viel rumgekommen. Hat allein eine ganze „Energiewende-Studie für ein nachhaltiges Ecuador“ verfasst, China mit dem Rad bereist und in diversen Wirtschafts- und Umweltorganisationen gearbeitet. Ist ein festes Mitglied in einer der aktuell elf Fachgruppen der Scientists for Future und seit einigen Jahren selbstständiger Energieberater. Für ihn läuft vieles im Wohngebäudesektor falsch. Das Wort „Kritik“ mag Golla trotzdem nicht gerne hören. Ist ihm auch zu destruktiv. Stattdessen will er es lieber selbst anpacken und zeigen, dass es auch anders laufen kann. Und so ist aus einem nichtssagenden Gartenhäuschen ein energieautarker Zukunftsort geworden. Auch im Winter, wenn es draußen schneit und stürmt. 

Die Dämmschicht der Außenwand im Detail

Das Gartenhaus im Detail

Die Gebäudehülle des Gartenhäuschens ist diffusionsoffen und luftdicht, die Fenster sind mit Kalfaterband abgestopft und die Leistung der Luft-Luft-WP mit 2 kW ist sogar überdimensioniert. „Es gab nichts Kleineres“, sagt Golla und schaut auf die Außeneinheit.

Seit drei Jahren läuft dieses Testobjekt nun schon. Drei Jahre, in denen er eigenhändig jede V2A-Schraube selbst eingedreht, das Südost-Dach mit einem neuen Dachstuhl samt neuem Boden und Terrassenüberdachung von 20 auf 42 Quadratmeter vergrößert, alle 24 Indach-Solarmodule installiert, die Wände mit Stopfhanf, Hanfbauplatten oder Schilfrohrmatten gedämmt, den Boden mit Stopfhanf und Holzdielen sowie das Dach mit Seegras erneuert hat.

Besonders stolz ist Golla auf die Fassadendämmung: 

  • Die Perimeterdämmung besteht aus mit Baumharz verklebten Schaumglasplatten.
  • Die Außenwand ist ein Holzgefach, das mit Zink-Schraubankern und Winkeln fixiert ist.
  • Als Dämm- und Füllmaterial wurde 14 cm starker Seegras-Stopfhanf verwendet, der durch geklammertes Jute-Mesh sowie durch zwei Zentimeter starke Schilfmatten ergänzt wird.
  • Letztere werden über Haken eingehängt und mit Edelstahldraht untereinander verbunden. 

Die komplette Konstruktion ist einfach aufzubauen, wartungsfrei und unempfindlich gegenüber üblichen mechanischen Einwirkungen. Nach 25 Jahren können die Matten bei Bedarf ausgewechselt werden. Abgesehen von den vollständig trennbaren Metallteilen fällt kein problematischer Abfall an. Und das Wichtigste: Der Materialpreis liegt nach Gollas Angaben bei 55 Euro pro Quadratmeter

Ein bisschen chic muss sein

„Natürlich wollte meine Frau nicht, dass bei unseren argwöhnischen Kleingartenbewohnern der Eindruck entsteht, bei uns sähe es aus wie bei den drei kleinen Schweinchen“, sagt Golla. Deshalb wurden die beiden anderen Frontansichtsseiten mit dem gleichen Grundaufbau, aber mit Querlattung und zwei Zentimeter dicken Hanfbauplatten beplankt. Zusammen mit einer befreundeten Fachkraft wurden dann die Fassaden mit drei bis vier Millimeter Hessler-Kalk fachgerecht verputzt und anschließend mit Lehm-Silikatfarbe gestrichen. Das Ergebnis: kein Dreck auf der Baustelle, dafür eine Fassade auf der Wetterseite, die nach drei Jahren noch immer top in Schuss ist. „Gerade mal vier Millimeter“, wiederholt Golla, donnert dabei mit der Faust gegen die Fassade und kann den Stolz in der Stimme nicht verbergen.

Das Haus von Stefan von der guten Seite

Ein Blick in die „Leitlinien für das Verputzen von Mauerwerk und Beton“ verrät den Grund. Dort steht: „Im ersten Arbeitsgang wird dabei gerüstlagenweise eine Schicht von rd. 10 mm Dicke (etwa halbe Lagendicke) angetragen, die im zweiten Arbeitsgang auf die vorgesehene Unterputzdicke von 15 bis 20 mm fertiggestellt wird.“ Würde man es so machen wie Golla, könnte man eine Menge Putz und Ressourcen und Masse auf der Straße sparen – und letztlich eine Menge Geld. Aber lebt nicht eine ganze Industrie davon, dass man so baut, wie man es schon die letzten Jahrzehnte getan hat?

Hierüber könnte Golla stundenlang reden. Die Entsorgung von Abfällen in Bauprodukten habe in Deutschland System, meint er. Die wichtigsten Vertreter, wie Gipskartonplatten, Gasbetonsteine, Mineralwolle und Kunststofffenster, seien dabei hauptsächlich mit PMDI-Leim, Schwermetallen und Radiotoxinen belastet. „Aus bauphysikalischer Sicht sind diese Materialien problematisch. Das gilt auch für neue WDVS-Systeme, egal ob mit EPS/XPS oder Holzwolle-Frischfaser. Das ist ökologisch und bauphysikalisch nicht zu rechtfertigen“, sagt Golla.*

Möglichst viel in Eigenleistung

Für sein Zukunftshaus hat er sich lange auf die Suche gemacht und mit etwas Glück online passende gebrauchte Fenster in der Umgebung gefunden. „Bei Kleinanzeigen und Bauteilbörsen gibt es schon einiges, sehr viel Neues, das vor allem falsch auf Baustellen geliefert wurde. Meine habe ich innerhalb eines Tages ausgetauscht, mit Kalfaterband ordentlich reingestopft und jetzt ist alles dicht“, sagt Golla sichtlich stolz und klopft auf den hölzernen Rahmen, der ein paar Töne dunkler ist als die anderen Tür- und Fensterrahmen. Wie viel Zeit er bis jetzt in dieses Testobjekt investiert hat, kann er nicht genau sagen. Vielleicht 1.000 Stunden? Das alte Dach abzureißen, alles ordentlich zu entsorgen, den Dachstuhl neu aufzubauen, die Decke neu abzuhängen und die PV-Module einzudecken: Allein für diese Tätigkeiten haben er und zwei Freunde drei Wochenenden gebraucht. 

Die sieben Meter langen Balken konnte er als B-Ware vom lokalen Holzhändler von Hand zur Baustelle ziehen. Der Anspruch, fast alles ohne Auto zu machen, war eine körperliche Herausforderung. Und dann kamen noch die undichten Indach-Solarmodule hinzu, die laut Hersteller noch bei 10° Neigung funktionieren sollten, die aber beim ersten Regenguss einen fünf Zentimeter tiefen Teich auf dem Dachboden mit feuchtevariabler Dampfbremse entstehen ließen. Zu seinem Glück hielt die Dampfbremse dicht und das Dach blieb ohne Schaden. Notgedrungen musste er das Dach samt Modulen auf 20° erhöhen – mit zwei einfachen Wagenhebern. Andere Indachmodul-Hersteller haben diesen Konstruktionsfehler mittlerweile gelöst.

Geschliffene Schilfrohre zum Dämmen und als Insektenhotel
Fassade als Insektenhotel. Den Hautflüglern gefällt es.

Die Erhöhung der Dachschräge hatte zudem einen netten Nebeneffekt: Zwischen Dachboden und Modulen findet sich nun ausreichend Platz für seine übrigen Baumaterialien. Dazu gehören Holzbalken, ein Ersatzwechselrichter und nicht verwendete Schilfrohrmatten, deren Enden er mit einem Winkelschleifer faserfrei getrennt hat, damit sich Hautflügler gefahrlos darin einnisten können. Im Sommer, erzählt er, wimmelt es nur so vor Wildbienen und Hummeln. „Sie fühlen sich hier richtig wohl.“ Zahlreiche Vögel nutzen das Seegras und den Hanf zum Nestbau. Der Marder hingegen kam nicht wieder.

Darauf angesprochen, dass sein Haus es niemals ins bekannte Wohnmagazin „Schöner Wohnen“ schaffen würde, winkt er lächelnd ab. Die „Ach-naja“-Haltung und der gleichgültige Blick lassen einen Menschen erahnen, dem Funktionalität, Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit viel wichtiger sind als oberflächliche Harmonie und Makellosigkeit.

Nervenkrieg in der Gartenkolonie

Für sein Testobjekt hat Stefan Golla schon so manche nervenaufreibende Hürde überwunden. Dazu zählt definitiv die ablehnende Haltung des Vorstands und weiterer Kleingartenbewohner. Sie haben versucht, so Golla, ihn und seine Frau mit allen rechtlichen Schritten zu schikanieren, obwohl der ehemalige Vorsitzende die Baugenehmigung für das Haus mit PV-Dach wohlwollend erteilt hatte. Und weil man es ihm verboten hat, den Solarstrom ins Kleingartennetz einzuspeisen, entschied sich Golla für die Lösung mit der Energieautarkie. Viel Batteriespeicher braucht es nicht, da die Stromaufnahme der Wärmepumpe mit weniger als 0,3 kW sehr klein ist. Einmal aufgewärmt reicht die geringe Leistung der PV-Anlage mit 0,5–1 kW im Winter aus.

Was zunächst wie ein Kampf gegen Windmühlen aussah, wurde im Laufe der Zeit zu einem Teil der Kleingartennormalität. Der Gegenwind nahm ab. Stattdessen gab es immer mehr Sympathisanten, die Golla und seiner Frau Respekt zollten. Mittlerweile ist seine Datsche nicht mehr die einzige mit einer PV-Anlage auf dem Dach. Es gibt auch andere Kleingartenbewohner*innen, so erzählt er, die das Gleiche planen: ihr Gartenhäuschen energetisch sanieren und darin teilweise überwintern.

Blick vom Dach des Häuschen in die Nachbarschaft
Blick in die Nachbarschaft

Die ersten Früchte ernten

An dieser Stelle könnte Stefan Golla seine Geschichte mit Genugtuung beenden. Aber das erhabene Gefühl scheint zu klein zu sein für seine Vision vom ökologischen und günstigen Sanieren und Bauen. Mit seinem Beratungsunternehmen sensibilisiert er Bauherren und Baufrauen für das Thema und vermittelt ihnen Wissen darüber, welche Aufgaben sie selbst erledigen können. Für die Handwerksunternehmen bedeutet dies zunächst eine Umstellung. Im gemeinsamen Lernprozess jedoch weichen ihre anfänglichen Bedenken und sie freuen sich über gut informierte Auftraggeber*innen

Die ersten Früchte seiner Bemühungen wird Stefan Golla bald ernten können: Im Nordosten von Berlin soll demnächst ein größerer Bio-Bauernhof mit Wohnungen und Herberge errichtet werden – mit Golla als Ideengeber und Infrastrukturverantwortlichem für „Edufarm“. Gemeint ist damit ein Konzept, das Ernährung, Erholung und Bildung in Einklang mit der Natur bringt. 

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es dieser Bauernhof, anders als Gollas Zukunftshaus, ins Magazin „Schöner Wohnen“ schafft.

* Die belastbaren Quellen liegen der Redaktion vor und wurden bereits geprüft.

Minh Duc Nguyen

Über den Autor

Minh Duc Nguyen

Minh Duc Nguyen ist seit 2020 Teil der co2online-Redaktion. Er ist besonders vertraut mit dem Thema Heizung im Allgemeinen, sowie Fernwärme und Wärmepumpe im Besonderen. Darüber hinaus gehört der Bereich staatliche Fördermittel für Wohngebäude zu seiner Expertise.

Zum Autor*innen-Profil
Zu sehen ist eine Frau, die Dämmmaterial und Informationsblätter vor sich liegen hat. Man sieht noch einen Laptop.

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